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Bin ich der Einzige?

Vom ehrlichen Umgang miteinander

Kennst du die Frage?

Bei anderen hat man immer den Eindruck, dass es gut läuft. Bei den meisten zumindest. Immer nette Kinder, die Beziehung prima, Karriere läuft, immer sportlich und fidel.
Und selbst kämpft man zu oft an zu vielen Baustellen gleichzeitig.

Viele Eltern, mit denen ich geredet habe, haben den Eindruck, dass sie die einzigen Eltern sind, die sich mit der Aufzucht ihrer Sprösslinge schwer tun. Und das gilt in vielen anderen Lebensbereichen ebenso.

Als ich vor kurzem mal kurz über die eine oder andere Herausforderung, die ich für mich momentan so sehe, geredet habe, kamen erstaunte Blicke: „Ach, ich dachte, bei dir läuft alles super?“

Und auch von Trauernden höre ich das immer wieder: „Die anderen bekommen das so gut hin, nur ich schaff es nicht!“

Woran liegt das?
Zum einen bin ich davon überzeugt, dass viele Menschen immer wieder an verschiedenen Baustellen intensiv zu arbeiten haben und ihr Leben eben nicht perfekt läuft. Nur nimmt man das von außen nicht wahr. Weil man eben nicht darüber redet. Weil man sich keine Blöße geben will. Oder weil man Angst vor der Reaktion der anderen hat. Die leider zu oft aus schlauen Sprüchen und „Da muss man halt…“ besteht.
Zum anderen leben wir alle in verschiedenen Beziehungen. Zu Kindern, zu Partnern, zu Freunden. Und wenn ich über etwas schreibe oder rede, was mich in einer dieser Beziehungen herausfordert, offenbare ich natürlich immer auch was über die anderen, die da mit drin hängen. Das ist z.B. ein Grund, warum ich grundsätzlich nie etwas über meine Frau oder meine Kinder schreibe oder Bilder veröffentliche.

Aber ich kann von mir schreiben und erzählen. Und davon, dass auch bei mir nicht immer alles super läuft. Auch wenn ich für manches sehr, sehr dankbar bin. Und ich vieles von dem, was ich tue, sehr gerne mache (und tolle Rückmeldungen bekomme). Trotzdem merke ich, dass die letzten Jahre mit allen ihren Herausforderungen viel Kraft gekostet haben. Zur Zeit ist die Flasche ziemlich leer.

Und wenn dann noch komische Dinge passieren, die ich zum Teil selbst verschulde, wird’s eng.

So war ich vor einiger Zeit als Referent unterwegs. Abends saßen wir noch gemütlich zusammen. In dem Raum gab es auch einen Ofen mit Flüssigbrennstoff. Ich verkündetet großspurig: „Ich weiß, wie das funktioniert!“ Leider wusste ich es offensichtlich doch nicht so genau und habe fast das Haus in Brand gesetzt. Die Leute um mich haben sehr verständnis- und humorvoll reagiert, der Chef des Hauses zum Glück auch.
Nur ich konnte mir nicht vergeben und hab mich maßlos über mich selbst geärgert. Wie konnte mir das nur passieren? So peinlich…
Bis dann eine Freundin sagte: „Stefan, du bist auch nur ein Mensch…“ Und tatsächlich, sie hatte (wie so oft…) recht. Und Menschen machen Fehler. Auch ich. Obwohl mir das sehr unangenehm ist, vor allem, wenn andere das mitbekommen…

Gestern war auch wieder so ein Tag. Zuerst habe ich mir zwei Espressi über’s helle Hemd gekippt. Zum Glück konnte ich mir vor dem Geburtstag, zu dem wir eingeladen waren, noch eines leihen. Danach lief noch manches schief (für das ich nichts konnte) und auf der Heimfahrt wurde ich dann noch geblitzt (wofür ich leider viel konnte…).

Warum ich das alles schreibe?

  • – um deutlich zu machen, dass auch bei mir nicht alles toll läuft (im Internet schreibt man eben mehr von Erfolgen als von Misserfolgen).
  • – um für mehr Ehrlichkeit im Umgang miteinander zu werben. Wenn ich nämlich merke, dass bei dem anderen auch nicht immer alles super läuft, fühle ich mich selbst auch nicht mehr so einsam und doof.
  • – um wieder einmal darauf hinzuweisen, dass das Leben eben nicht „entweder-oder“ ist, das heißt entweder schrecklich oder schön, sondern allermeist „sowohl-als“ auch. D.h. es kann sehr tolle Momente, Erlebnisse, Begegnungen usw. in schrecklichen Zeiten geben oder andersrum. Ich freu mich zum Beispiel über mein (fast) neues Handy und ärgere mich sehr über das kaputte Display desselben…
  • – und um andere, denen es möglicherweise ähnlich schwer fällt, wie mir, sich selbst zu vergeben, zu ermutigen! Und zur gegenseitigen Ermutigung einzuladen. Perfekt sein muss nur, wer sonst nichts kann…